Eine kulinarische Märchenwelt
Das unschlagbare Trio im El Celler de Can Roca
Joan Roca ganz entspannt. In nur wenigen Minuten wird das Menü kredenzt und dennoch führt er mit einer einladenden charmanten Geste seine Gäste hinter die Kulissen und gibt Einblicke in das rege Treiben seiner Küche. Gut strukturiert agieren dort rund 40 Köche in den klar getrennten Bereichen Fleisch, Fisch, kalte Küche mit Dessert und in der Produktion, wo die Speisen mit den letzten Finessen versehen aufgetragen werden können. „Hier befindet sich das Herz des Hauses“, erklärt der Meisterkoch, der mit dem Restaurant El Celler de Can Roca, das er zusammen mit seinen Brüdern Josep (Sommelier) und Jordi (Patissier) führt, bereits zweimal auf Platz 1 der „World’s 50 Best Restaurants“ stand. So ist es nicht verwunderlich, dass für ein Lunch oder Dinner bei den Roca-Brüdern mit einer Wartezeit von fast einem Jahr gerechnet werden muss. In Zentrum des lichtdurchfluteten dreieckigen Restaurants befindet sich ein komplett verglaster Innenhof mit Bäumen. Bei überraschend lockerer Atmosphäre werden fast 20 Gänge serviert, die jeder für sich einer beachtlichen Geschmacksexplosion entsprechen.
Gut portioniert und immer im richtigen Timing bedeutet ein Menü im Celler de Can Roca ein Hochgenuss. Die Speisen werden mal mit verspielter Garnierung oder auch ganz natürlich gereicht. Einige Kreationen begeistern im Zusammenspiel mit den einzelnen Komponenten, andere durch ihre Texturen, Reduktionen oder Verdichtungen. Um für diese kulinarische Genusswelt die Sinne vorzubereiten, wird den Gästen ein feinperliger edler Schaumwein „Classic“ serviert, der aus den Sorten Parellada, Xarello, Macabeu und Chardonnay in aufwändiger Champagner- Methode von Albet i Noya erzeugt wird. Dazu wird der erste Gruß aus der Küche gereicht, der sich als eine kurze Weltreise präsentiert. In einem Papierlampion befinden sich auf einem kleinen Holzpodest höchst intensive, typische Geschmackskompositionen der Länder Thailand, Japan, China, Peru und Korea.
Nach dem Streifzug durch entfernte Kontinente folgt eine pfiffige Hommage an die Heimat Spanien. Vor einer runden Popup Karte mit Jugendbildern der Roca-Brüder mit ihren kulinarischen Vorlieben stehen kleine Tresen. Darauf befinden sich winzige Tapas wie Nieren mit Sherry oder gesalzener Kabeljau mit Erdnuss und Spinat. Bemerkenswert das rote Bonbon, das beim Hineinbeißen eine intensive Camparinote offenbart. Hinreißend gelungen ist das Oliveneis, bei dem an einem Bonsai Olivenbaum perfekt nachgebildete Oliven hängen, die reinstes Olivenaroma verströmen. Ein zauberhaftes Spiel mit der Frucht des Ölbaums, das auch von Sven Elverfeld im Wolfsburger Aqua (karamellisierte Kalamate Olive) oder im Disfrutar, dem neuen Restaurant der ehemaligen Headchefs des El Bulli (sphärifizierte Oliven im Kokosbuttermantel) gern zelebriert wird. Die Riege der köstlichen Kleinigkeiten scheint kein Ende zu nehmen Ying-Yang Auster auf einer silbernen Korallen-Etagere, das getrüffelte Bonbon oder das Mushroom Brioche. Zu einem fruchtig-würzigen Celler Credo Estrany 2012 leitet ein Hauch von klarer Kürbis-Consommé mit grünem Tee, zahlreichen Kräutern, Nüssen und Gewürzen schließlich in weitere, aufregende Regionen über. Beispielsweise die raffinierte Farb- und Geschmackskreation Rotbarbe mit Seetang serviert auf einer geschliffenen Achahtscheibe mit einem mineralisch-rauchigen Sancerre 2012 vom Weingut Domain Vacheron oder die Langoustine mit einer Creme aus Kakaobohnen. Diese werden durch einen vollmundigen Burgunder, einem Sarnin-Berrux Saint Romain 2013 begleitet.
Als äußerst eindringlich in der Armonenvielfalt entpuppt sich das Rebhuhn mit Rosenkohl. Ein 2011 Eulogio Pomares Albariño mit seinen Nuancen von reifen Äpfeln und etwas Zitrone stellt eine herrliche Vervollständigung dar.
Auch hier begeistert wieder die liebevoll gefällige Präsentation – bester Beweis, dass jede Zutat nicht nur die Augen, sondern besonders die Geschmackssinne anspricht. Anschließend folgt die Taube mit fermentiertem Reis und einer zarten blauen Borretschblüte. Mit dem Schaumwein 2004 Loxarel 109 wurde mit seinen Aromen nachreifen, gelben Früchten, Vanille und Tabakeine duftige Ergänzung gefunden .
Einer der Höhepunkt ist die marinierte, knusprige Garnele mit Reisessig. Die frittierten Garnelenbeine, Algen und das Phytoplankton munden exquisit zu einem Riesling 2012 vom Weingut Heymann Löwenstein. Zum Rochen – Confit an Senföl, Nussbutter, geräucherten Haselnüssen, Honig, Bergamotte und einem Chardonnay-Essig- folgt ein aparter Weißwein mit fruchtiger Note sowie Anklänge von Wildpfirsich und Honig der Nelin 2008 aus dem Priorat. Unter einem farbenfrohen Mini-Gemüsemosaik wird zur Dorade mit einem Carles Andreu Trepat 2013 ein feiner, erster Rotwein serviert, der in seiner Leichtigkeit den Fisch nur zart unterstreicht. Iberisches Spanferkel, grüne Papaya, Thai Grapefruit, Apfel, Koriander und Cashewnüsse lautet der folgende Gang, der geradezu auf der Zunge zergeht. Begleitet wird das Gericht von einem 2013 Adega Algueira Merenzao, der durch Aromen von getrockneten Blüten und Wildkräutern besticht.
Drei Tage lang bei 55 Grad gegartes Lamm mit Auberginen und Kichererbsen-Püree sowie Lammhaxe und würzigen Tomaten. Der Suertes del Marqués El Ciruelo 2014 besticht durch rote Früchte, etwas Holz und seinen aromatischen Geschmack und scheint mit dem Lamm zu verschmelzen. Noch einmal superb das Kalb mit Avocado und frischen Trüffeln zu einem 2001 Negre dels Aspre elegante Aromen von feinen Kräutern und ein wunderbar langer Abgang. Für das süße Finale zeigt sich der Meister der Süßspeisen, Jordi Roca, verantwortlich. Unter „Suspiro Limeno“ ist ein leichtes Ensemble aus Milch, Limette, Koriander und Milchkaramell zu verstehen, dass wieder Frische und Perligkeit in die Menüfolge bringt. Kombinert wird dieses Element durch einen edelsüßen Maximin Grünhäuser Abtsberg Riesling Kabinett 2010 einem erstaunlichen Wein, der gleichzeitig durch seine Lebendigkeit und Spannung glänzt. Unter „Turkish Perfume“ ist ein großartiges Ensemble verschiedenster Aromen wie Rose, Pfirsich, Safran, Zimt, Pistazie und Kumin zu verstehen. Zur Intensivierung des Genusses wird ein Papierzylinder mit einem orientalischen Duft, der dem Augenblick eines orientalischen Märchens entsprungen sein könnte, gereicht. Wundervoll! Der großartige Gewürztraminer 2007 Rebholz, Albersweiler Latt setzt ein letztes I-Tüpfelchen. Ein feiner Malvasia 2012 vom Weingut Matias i Torres, der durch seine Grapefruitaromen betört, gehört zum dritten Dessert „Orange colourology“. Das Werk sieht wie eine schimmernde Seifenblase aus. Sehr zerbrechlich und mit geheimnisvoller Füllung, die erst beim zarten Anklopfen auf die äußere Schale zum Vorschein kommt: Karotte, Eigelbeis, Aprikose Eau de Vie, Orangenzucker und Schale der Blutorange. Dazu viele winzige Eiskugeln, gefüllt mit Orangensaft. Eine Tür zur Märchenwelt, die Erstaunen lässt.
Ein erstklassiges Menü, das durch seine vortreffliche Harmonie in der Gangfolge und in seiner meisterhaften Abstimmung nur selten in dieser Güteklasse zu finden ist. Die grandios gewählten, korrespondierenden Weine zum Menü ergänzten die Speisen, verschmolzen mit ihnen oder stellten einen ebenbürtigen Partner dar. Allerdings fragt man sich warum der Gruß aus der Küche „The World“ genannt wird, denn das Thema wurde im Kontext des Menüs nicht weiter fortgesetzt. Insgesamt gesehen entpuppte sich aber jedes einzelne, liebevoll präparierte Gericht als Offenbarung, die auch ohne Lampion oder Popup-Karte wirkungsvoll geblieben wäre. Besonders erwähnenswert ist der Weinkeller mit mehr als 3500 Positionen zu Preisen zwischen 20 und 4500 Euro pro Flasche. Der Celler de Can Roca ist ein Restaurant, das immer eine Reise lohnt.