Die Heimat der Roten Gambas
Geheimnis vom Schlamm ist noch nicht gelüftet
Pinien, Olivenbäume und Palmen: das zauberhafte Band dieser Silhouette duftiger typischer Mittelmeerpflanzen zieht sich bis in das Tal von Sóller. Es ist die Welt hinter dem Berg, wie die Einheimischen selbst ihre Heimat bezeichnen. Jeder kennt jeden. Die Bewohner von Sóller und Porto Sóller sind verwandt oder befreundet oder leben einfach miteinander. Das Ziel der malerischen Reise ist der Hafen. Rund 800 kleine Fischerboote liegen dort fest vertäut an den Stegen. Es ist 17 Uhr. Ein viel größeres, stattliches Schiff mit dem Namen Villa de Sóller bahnt sich gerade den Weg in die geschützte Bucht zwischen den Leuchttürmen. Eskortiert wird es von einem Schwarm hungriger Möwen. Kapitän Jaime Ensefiat, auch bekannt unter dem Namen Chaco, ist gut gelaunt. Das frühe Ablegen morgens um 4.30 Uhr hat sich gelohnt. An Board befinden sich rund 60 Kilo Rote Gambas. Diese Delikatesse aus Sóller, von Feinschmeckern als die besten Garnelen der Welt geschätzt, werden in einer Tiefe zwischen 600 bis 700 Metern gefangen.
Je nach Alter zwischen zwei und fünf Jahren und Größe wird die Spezialität in drei verschiedene Kategorien eingeteilt. Ihr Verkaufswert liegt bei mehr als 100 Euro pro Kilo. „Wir Fischer bekommen allerdings nur einen Bruchteil davon. Bald lohnt sich das Geschäft nicht mehr. Unser kleiner Familienbetrieb erfordert einen großen Aufwand. Bei mir arbeiten fünf Männer und ich benötigte für mein 23,5 Meter langes Schiff sehr viel Diesel. Für so einen Fang wie heute muss ich unter Umständen 35 Kilometer weit auf das Meer rausfahren“, erklärt Chaco, der bereits in der vierten Generation den Beruf des Fischers ausübt. Seine Haut ist wettergegerbt und sonnengebräunt. Als Zwölfjähriger fing Jaime Ensefiat bei seinem Vater, der ebenfalls Jaime heißt, während der Ferien an auf dem Boot auszuhelfen. Im Alter von 16 Jahren stand sein Entschluss fest Fischer zu werden. „Meinen Vater hat es gefreut, meine Mutter, eine Lehrerin, war wütend. Heute verstehe ich sie. Meinen Kindern wünsche ich einen anderen Beruf, als den des Fischers“, erklärt Jaime Ensefiat. Eine Hoffnung, dass die Fischerei in der Familie bleibt, gibt es trotzdem, denn seit einiger Zeit arbeitet sein Neffe Eduard (17) an Board. Auch der Jugendliche empfindet wie sein Onkel und Großonkel: „Wir lieben den Meerblick und die Freiheit. Außerdem ist jeder Tag anders!“ Vor nicht zu langer Zeit gab es noch elf Fischerfamilien, die sich auf den Fang der Roten Gambas spezialisiert haben. Heute sind es nur noch drei. „Unsere Gambas gehören zu den weltweit besten. Warum sie so gut schmecken, wissen wir nicht. Es könnte an dem Schlamm vor der Küste Mallorcas liegen“, meint Jaime das Geheimnis gelüftet zu haben. Nachdem die mallorquinische Spezialität an Land gebracht und gewogen wurde, werden sie von Händlern abgeholt um sie auf dem Markt zu verkaufen oder Köche kommen direkt zum Boot um die fangfrische Ware zu erstehen.
Im Restaurant Es Faro, über der Bucht von Porto Sóller, bereitet Küchenchefin Maria del Mar mit geübten Handgriffen die Roten Gambas zu. „Erst den Kopf abdrehen und diesen aussaugen. Das ist ein ganz außerordentlicher Geschmack. Dann erst den Rest verspeisen. Es ist der intensive, nussige Geschmack, der einen innerlich jubeln lässt, wenn man in das feste Fleisch beißt“, schwärmt Pau Bori Soucherion, Direktor vom Hotel Sentido Poro Sóller. Der Einheimische ist von den leuchtend roten Kurstentieren seiner Heimat begeistert. Auch die anderen Produkte aus dem Land hinter dem Berg, wie Olivenöl, Zitrusfrüchte und Mandeln überzeugen. Zu den weiteren Delikatessen des Tales gehören die Mettwurst Sobrasada und das süße Backwerk Ensaimadas.“Wir sind eine Ganzjahresdestination und zu unseren Stärken gehören nicht nur die Wandergebiete, die gute Hotellerie und die Infrastruktur, sondern auch die Kulinarik“, bestätigt Pilar Carbonell Raya, Generaldirektorin für Tourismus der Balearischen Landesregierung. Eine gelungene Hommage an ihre Heimat bewies Maria del Mar mit Entenleberpastete in Ensaimada an geschmorten Zwiebeln, Basilikum und Orangenmus als Vorspeise. Vorweg reichte sie als Gruß aus der Küche zu Champagner ein kleines, knuspriges Brot mit Sobrassadacreme, alles delikate Kostproben, die auf der Zunge zergehen und Lust auf mehr aufkommen lassen.
Schon die fast fünf Kilometer lange Fahrt mit der mehr als 100 Jahre alten Straßenbahn von Port de Sóller bis nach Sóller ist ein Erlebnis. Langsam rumpelt der historische Zug den Berg hinauf. Dort obern angekommen beginnt die kulinarische Erlebniswanderung mit einem Besuch in der Orangenmarmeladenfabrik “Fet a Sóller”. Dort werden neben den Orangen auch Oliven, Mandeln und Zitronen verarbeitet. Zum Teil wird die Marke durch eine Behindertenwerkstatt unterstützt. „Hier werden jährlich zwischen 300.000 und 350.000 Gläsern Marmelade hergestellt – natürlich alles in Handarbeit und es sind rund 70 bis 80 Behinderte beteiligt. Jeder hat ein Talent und diese Menschen werden bei uns ernst genommen. Wir möchten Besuchern die Produkte von Sóller und der Insel näher bringen und haben Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte geschaffen. Selbstverständlich werden in der größten Marmeladenfabrik nur unbehandelte Früchte verarbeitet“, erklärt Kooperationspartner Franz Kraus, der vor fast zwei Jahrzehnten seinen Wohnort nach Sóller verlegt hat und dort später die Eisfabrik Sa Fábrica gründete. Gut gestärkt und begleitet von dem unwiderstehlichen Aroma reifer Orangen geht es ein wenig hinauf über die kleine historische Siedlung Binibassi bis nach Fornalutx.
Die Geschichte des Bilderbuchdorfes ist mehr als 1000 Jahre alt. Gepflasterte Straßen, mit Blumen und Pflanzen geschmückte Treppenaufgänge in der Altstadt sowie die alten Steinhäuser mit ihren großen, meist geöffneten Toren locken zahlreiche Touristen an. Bei einer Pause auf dem Marktplatz mit Blick auf die Dorfkirche von 1639 empfiehlt sich der Genuss des Nationalgerichts „Pa amb òli – Brot mit Öl“. Dabei wird eine Scheibe Brot mit Knoblauch und Tomaten bestrichen und mit Olivenöl beträufelt. Als Extra kommt eine Scheibe Schinken oder Käse obendrauf – ein typisches Beispiel für die schmackhafte „Cuina mallorquina“. Gut gestärkt geht es weiter nach Biniaraix. Vom Waschhaus führt die Wanderung auf einem, seit dem 14. Jahrhundert urkundlich belegten Pilgerweg und vor der eindrucksvollen Bergkulisse der Serra de Tramuntana immer weiter nach oben in Richtung Stausee. Größtes Wohlbefinden stellt sich bei dieser Verzahnung von Natur- und Kulturlandschaft und dazu die fantastische Aussicht über die ockerfarbenen Dörfer, die Berge und das Meer.
Nach dem Genuss des Panoramas lohnt auf dem Rückweg ein Zwischenstopp bei La Luna. Die Geschichte von La Luna, Mallorcas ältester Sobrassadafabrik, begann im Jahr 1900. Seitdem wird dort die Wurstspezialität, mit Paprika gewürztes Mett vom schwarzen Schwein, im dekorativen Naturdarm hergestellt. Nachdem sich der ehemalige Schlachter Bartolomé (Frau) Oliver zur Ruhe setzte, übernahmen im Jahr 2015 seine Söhne, der Betriebswirt Juan und der Biologe Toni Frau, den Betrieb. „Hier wird immer noch alles in Handarbeit produziert. Wir verwenden nur erstklassige Ware. Das ist uns absolut wichtig“, versichert Juan Frau (37). Zuerst wird das Hackfleisch mit Paprikapulver, Salz und Gewürzen vermischt und in Naturdärme abgefüllt. Vernäht werden sie immer noch mit Nadel und Faden. Anschließend reift die Wurst langsam im Keller. Nach zwei bis vier Monaten kann sie angeschnitten werden. „Die Sobrassada, die am längsten den Reifeprozess durchläuft, trägt den Namen Bischof“, ergänzt Toni Frau (39). Die geschmacksintensive Mettpaste kann auf Brot gestrichen, gebraten oder in Pasteten verarbeitet werden. In den ehemaligen Arbeitshallen von La Luna können Besucher in einem kleinen Museum mit den alten Maschinen, Konserven und Schriftstücken auf eine Zeitreise gehen. Die Räume wirken so, als hätten die Arbeiter gerade nur eine kurze Pause eingelegt.