Liebe geht durch den Magen
Italiens Bauch heißt Emilia Romagna
Gut, dass der Mond scheint. Der Weg zum Agriturismo Garuti führt durch die, von Wassergräben durchzogene Ebene um Modena. Auf der Suche nach dem kleinen Restaurant wirkt sogar das Navi irritiert. Die Straßen in der Po-Ebene verlaufen zwischen Weingärten, Obstwiesen und Kanälen nach dem gleichen Raster wie vor 2000 Jahren. Die Kastelle auf den Hügeln sind stehen geblieben wie die Renaissance-Palazzi und die Laubengänge in den Städten. Endlich ist in der Ferne ein beleuchtetes Haus zu erkennen. Von außen sieht es nicht aus wie ein gastronomischer Betrieb. Die Tür ist außerdem abgeschlossen. Innen scheinen sich aber Menschen aufzuhalten. Nach einer kurzen Umkreisung des Gebäudes und wirklich jede Tür wird ausprobiert erweist sich die Klingel als richtige Entscheidung. Der gelb getünchte, gemütliche Innenraum birgt eine echte Überraschung. Fast jeder Tisch ist mit Einheimischen besetzt und die kulinarischen Kostproben sind der beste Beweis für den Grund. Im Agritusimo Garuti kann nach Herzenslust regional geschlemmt werden. Eine Speisekarte gibt es nicht. Verarbeitet wird, was die Natur der Emilia Romagna gerade hergibt. Überdies scheint die Köchin zu wissen, was die Gäste mögen. Nach einer kurzen Verständigung werden Kostproben nach jahrhundertealten, überlieferten Rezepten einer äußerst schmackhaften Küche der intensiven Düfte und exquisiten Aromen serviert. Schnell wird klar: hier wird gern ausführlich getafelt. Meist begeistern in der Küche der Emilia Romagna einfache, raffiniert variierte Gerichte der typischen, viel gerühmten Erzeugnisse der Region. Dazu gehören natürlich die Stars wie der Parmaschinken, Parmigiano Reggiano und Aceto Balsamico, die die Herzen der Gourmets höher schlagen. Raffinierte Pasta-Kreationen zählen wie in dünne Scheiben geschnittene Mortadella, Tagliatelle mit Ragout und Tortellini, Erbazzone (pikanter Spinatkuchen), Zampone (gefüllter Schweinefuß), Bomba di Riso, Tortelli mit Kürbis, Culatello di Zibello, Pisarei e Faso, Burricche sowie die Piadina (vorzügliches, dünnes Fladenbrot) zu den Spezialitäten. Zum Dessert, Amaretti aus San Geminiano, Torta Nera (Kuchen aus Schokolade und bitteren Mandeln) und Lupini (süße Teigkügelchen) gehört ein Gläschen Walnusslikör selbstverständlich aus der eigenen Produktion. Wie der Agritusmo Garuti gehört auch die Küche von der Fattoria Maria zu den echten Geheimtipps. Wenn Chefin Anna den Nudelteig hauchdünn auf einer Kiefernplattte ausrollt, ist durch den Teig die Maserung des Holzes zu erkennen. Liebevoll und mit flinken Fingern füllt sie anschließend die einzelnen Pasta-Sorten mit Kürbiscreme, Radicchio, Ricotta oder Kräutern aus dem Garten.
Was wäre die Emilia Romagna ohne den Parmigiano-Reggiano, ein Produkt von höchster Qualität, das seit 1996 auch durch die Ursprungsbezeichnung DOP geschützt ist. Ein bis drei Jahre lagert ein Rad, bis es den richtigen Reifegrad erreicht hat. Besonders anschaulich wird die Herstellung der Delikatesse bei der Parmesankäserei “4 Madonne caseificio dell’Emilia” gezeigt. Die Basis für Parmesankäse ist Kuhmilch. Für einen 40 Kilogramm schweren Laib werden 550 Liter Milch benötigt. Diese Kühe werden nach strengen Vorschriften gefüttert. Zulässig sind nur Gras aus der Ursprungsregion und unbehandeltes Tierfutter. Jede Art von Silage, fermentiertes Futter, Futtermittel tierischen Ursprungs und Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie sind untersagt. Dadurch wird gewährleistet, dass nur die beste Kuhmilch für die Parmesanerzeugung verwendet wird. Um die Kuhmilch in perfekten Parmigiano Reggiano zu verwandeln, ist das Geschick des Käsers ausschlaggebend. Seine Kenntnisse und die angewandten Verfahren sind Traditionen, die von vielen Generationen über Jahrhunderte weiter gegeben wurden. Nur ein perfekter Parmigiano bekommt das Qualitätssiegel Parmigiano-Reggiano verliehen. Als weitere hervorragende Adresse mit den besten organischen Parmigiano Reggiano gilt die Käserei Hombre. Sie wurde 1980 von Umberto Pannini gegründet. Zusammen mit seinen Brüdern erfand er in den 70er und 80er Jahren die kultigen Abziehbildchen und machte damit ein Vermögen. Das Geld hat er nicht nur in die Fabrikation von Käse angelegt. Hinter den 500 Kühen auf seinem Hof und der direkt angeschlossenen Molkerei verbirgt sich ein privates Maserati-Museum. Es wird durch Oldtimer verschiedener Marken und zahlreiche Motorräder ergänzt. Ebenfalls eine lohnenswerte Adresse für Fans der schnellen Autos ist das moderne Ferrari Museum in Modena. Auf 5000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist nicht nur viel über die Rennwagen und ihre Geschichte zu erfahren, sondern über Enzo Ferrari, den Gründer des gleichnamigen Rennstalls und ein begnadeter Rennfahrer. Um seine Begeisterung für Autorennen ausleben zu können, verkaufte er das Gebäude, in dem er bei seinem Vater das Schmiedehandwerk erlernte und investierte den Erlös in seinen ersten Rennwagen. Damit legte Enzo Ferrari den Grundstein für eine Karriere, die ihn erst zum Werksfahrer bei Alfa Romeo und später zu einem selbständigen Unternehmer machte.
Der Aceto Balsamico di Modena gilt als König unter den Essigen. Aufgrund der Tradition und der besonderen klimatischen Bedingungen des wichtigsten Produktionsgebiets um Modena ist die Ursprungsbezeichnung Aceto balsamico di Modena seit 1989 gesetzlich geschützt. Während auf dem Hof der Most drei Tage lang in einem großen Kessel bei 90 Grad kocht, ist gleich nebenan in der Acetaia Paltrinieri zu erfahren, wie seit Jahrzehnten nach überlieferten Familienrezepten das schwarze Gold produziert wird. Das gefilterte Mostkonzentrat wird in ein Holzfass gefüllt, wo die alkoholische Gärung ihren Lauf nimmt. Der entstandene Alkohol wird dann von Essigsäurebakterien in Essig verwandelt. Im Verlauf der nächsten Jahre wandert der Essig durch immer kleiner werdende Fässer aus unterschiedlichen Hölzern der sogenannten Batterie. Solche Batterien bestehen aus fünf bis sieben Bottichen und werden noch heute bei der Geburt eines Kindes angelegt und innerhalb der Familie weitergegeben. Der Essig nimmt beim Reifen den jeweiligen Holzgeschmack an und entwickelt so sein besonderes Aroma. Wie lange er in welchem Fass reift, ist ein behütetes Geheimnis. Das älteste Fass bei der Acetaia stammt aus dem Jahr 1870! Wenn der Essig nach mehreren Jahren aus den Fässern entnommen wird, sind von ursprünglich 70 Litern Traubenmost noch etwa drei Liter des traditionellen Aceto balsamico übriggeblieben. Der Aceto Balsamico Tradizionale (ABT) ist ein streng überwachtes Produkt, von dem es jährlich nur zirca 2000 um zwölf Jahre alten, 1000 etwa 25 Jahre alten und zehn etwa 50 Jahre alten Aceto Balsamico in Fläschchen à 100 Milliliter gibt. Abgefüllt in besonders designte Fläschchen ist dieser kostbare und edle Aceto Balsamico Tradizionale – fast unbegrenzt haltbar – auch im geöffneten Zustand.
Zu den weiteren Schätzen der Region gehört der Lambrusco. Die Kellerei Paltrinieri gehört zu den preisgekrönten Produzenten des Lambrusco di Sorbara DOC. Längst haben es einige Weine von Alberto Paltrinieri in die Bestenliste des Gambero Rosso geschafft. Dieser wunderbar fruchtige Perlwein, dessen Aroma oft an reife Kirschen oder Himbeeren erinnert, stammt aus der Emilia Romagna. Mittlerweile ist er in 60 verschiedenen Varianten erhältlich. Das ursprüngliche Image des Lambruscos hat sich längst verändert. Aus einem einfachen Produkt haben sich mittlerweile Spitzenweine entwickelt, die gerade zu der Küche des Landes hervorragend passen. „Es spielt sich alles in unserem Bewusstsein ab, ein Kampf zwischen Glauben und Ungewissheit in der Kunst von Weinherstellung. Wie anders könnte man die Vibration eines Weines definieren, der in einem Flüstern, in einem hohen Ton begriffen wird und sich nie von der emotionalen Geschmacksmelodie der Probe getrennt. Der Wille zur Macht und zur Kraft, die im Schicksal eines delikaten, essentiellen und fast ohne tanninische Struktur des Weines geschrieben sind. Ein Rot-Schaumwein: die Doppelseele von Lambrusco. Die Morgenröte wird mit dem Sonnenuntergang verwechselt und umgekehrt…. Hier sind die Zutaten: Leidenschaft, Genauigkeit und Gleichgewicht“, beschreibt treffend Ermi Bagni, Direktor der beiden Lambrusco-Konsortien in Modena, das unverwechselbare Produkt. Wenn ein warmer Lufthauch durch die Kellerei von Alberto Paltrinieri zieht und bei einer Verkostung über den Rand des Weinglases streift, entfaltet sich das frische Aroma des hellen, prickelnden Weines in seiner ganzen Fülle. Wie der Flügelschlag eines zarten, schillernden Schmetterlings wirkt der kurze, entzückende Augenblick, setzt Nuancen von intensive Aromen von Heu, Himbeeren und Rosen frei. Sterneköche haben es längst erkannt. Gern bieten sie den edlen Tropfen des bescheidenen Winzers Alberto Paltrinieri in ihren Restaurants an.
Im L`Erba del Re in Modena kreiert Chefkoch Luca Marchini Kompositionen, die ganz seiner Philosophie – einem Trio aus Herz, Händen und Verstand – entsprechen. Nach einem Betriebswirtschaftsstudium widmete er sich ganz seiner Kochleidenschaft und eröffnete bereits 2003 sein Restaurant in Modena. Fünf Jahr später wurde es mit einem ersten Stern gekrönt. „Leidenschaft, Sensibilität, Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit zu vervollständigen, lauten für mich die Zutaten für mein Erfolgsrezept einer guten Küche“, erklärt Luca Marchini.
Wunderbar gelang schon der Auftakt mit einem Fischburger im Tintenfischbrot, begleitet von dem Lambrusco di Sorbara aus der Kellerei Paltrinieri. Das folgende Kalbstartar kombiniert er mit Erdbeersorbet und unterstreicht so die fruchtige Note des Gangs. Sehr schmackhaft gibt sich das 24 Stunden lang gegarte Ragout vom Huhn, zusammen mit einem 2006 Vigne dei Boschi, dessen leichte Cognac-Note besondere Freude bereitet. Zum Spanferkel mit Spinat und Schalotten wird ein vollmundiger, weicher Terre d`Este 2010 gereicht. Ganz mutig, aber sehr kreativ gibt sich Luca Marchini beim Dessert. Frittierte Gnocchi in einem filigranen Teigmantel mit Schokolade, Marmeladenkuchen und Kaffee erhalten ein Topping aus Modena-Schinken. Ergänzt wird das ungewöhnliche Finale durch einen Walnusslikör von Mallo – eine weitere Widmung an die Emilia Romagna.
Einen Abstecher nach Polesine Parmense, der Hochburg des Culatellos, lohnt sich unbedingt. Während im Keller des prächtigen Antica Corte Pallavicina aus dem 15. Jahrhundert rund 6000 Culatellos di Zibello reifen, kann eine Etage höher in dem Sternrestaurant von Massimo Spigaroli geschlemmt werden. Alles ist stimmig. Das äußerst freundliche und aufmerksame Mitarbeiterteam sowie die Speisen und Weine in dem geschmackvollen Ambiente überzeugen auf der ganzen Linie. Mit Blick auf die Po-Ebene, wo am Himmel die Kraniche kreisen, wird den Gästen in dem Feinschmeckerparadies Köstliches geboten. Zur Selektion mit Culatello, der 18, 27 und 37 Monate gereift ist, wird ein 2010 Strologo Vino Spumante der Antica Corte Pallavicina gereicht. Die weichen, frischen Aromen betören, überdecken aber nicht den Culatello, sondern gehen ein lebhaftes Spiel zwischen Speise und Wein ein. Wie bei der Vorspeise verfügt der Betrieb über passende eigene Produkte für die begeisternde Kombination von Weinen und Gerichten. Perfekte Pasta und karamellisiertes Schweinfilet munden hervorragend. Selbst das wunderbare Dessert, Apfeltarte mit Rosmarin und Meersalz symbolisiert noch einmal die Liebe der Emilia Romagna, die durch den Magen geht.
Mit etwas Glück können Köche mit Herzblut der Emilia Romagna auch in Norddeutschland entdeckt werden, die ihre Passion für die äußerst schmackhafte Küche ihrer Heimat mitgebracht haben. Dazu zählt die Trattoria Emilia in Hannover. Tizianamarina Piva kocht dort mit Leidenschaft, wie ihre Kollegen in der Emilia Romagna. Die Produkte sind natürlich alle selbst gemacht oder von den Betrieben ihrer Familie importiert, wie der Culatello, die Wurstspezialitäten, der Parmegiano Reggiano oder der Wein. Die Weinberge der Familie Storchi liegen am Enza-Fluss. Durch die Nähe von Fluss und Hügeln herrscht dort ein Mikroklima mit enormen Temperaturunterschieden sowie einer ständigen leichten Brise, die sich sehr positiv auf den Wein auswirkt. Intensiver Duft kennzeichnet die ausgezeichneten Weine, an deren Spitze der 2012 Perivana Cabernet Sauvignon Riserva liegt.