Schicksalsschaukel im Narrenstaat
Kulinarische und kulturelle Schätze des Baltikums
Eine Reise durch das Baltikum offenbart Schätze, die zu den ganz besonderen Entdeckungen zählen. Traumhafte Landschaften, prachtvolle Städte und herzliche Menschen begeistern, lassen die Herzen höher schlagen. Beschauliches in den drei Ländern Litauen, Estland und Lettland berührt dabei genauso wie Quirliges.
Jeden Morgen stehen die Angler geduldig an der Kettenbrücke in Klaipeda und warten mit viel Muße, schweigend und auch ein wenig genießend auf den Fang des Tages. Bei der Fahrt durch die unendlich weite Landschaft sind immer wieder Störche zu entdecken, die durch die Wiesen waten. Es sind Bilder, die an eine andere Zeit erinnern. Ein Kind läuft fröhlich singend am Kornfeld entlang. Ein alter Mann holt sich aus seinem Gemüsegarten einen Salatkopf für das Mittagessen. Ein Vogelschwarm erhebt sich aufgeschreckt in die Lüfte, beginnt einen fröhlichen Tanz mit den duftigen Quellwolken. Kleefelder, Wiesen und Waldflächen werden nur durch Bäche oder Flüsse unterbrochen. Bei dem Landschaftsidyll wirkt der Anblick von Schloß Trakai wie ein monumentales Wunder.
Ein Eisenbett mitten auf dem Dachfirst und ein Fotoshooting mit einer Geige spielenden jungen Frau vor einer farbenfrohen Graffiti-Mauer: eine kleine Porzellanengelfigur auf einer Astgabel scheint die Szene in der sternenklaren Nacht mit verschmitztem Lächeln zu beobachten. Was ein wenig skurril wirkt, ist der Blick von der Panoramaterrasse des Restaurants Sweetroot. Es befindet sich hinter einer Flussschleife in der selbst ernannten Künstlerkolonie Užupis auf einer Halbinsel in Litauens Hauptstadt Vilnius.
Das ehemals handwerklich geprägte Viertel verkam in der Sowjetzeit und verfiel, bis sich Anfang der 1990er Jahre in den verfallenen Häusern Künstler ansiedelten und seitdem den Stadtteil nach und nach sanieren. Galerien, Kunsthandwerksläden und Cafés prägen dieses Gebiet. Die Bewohner haben ihren Stadtteil zu einer “Narrenrepublik” ausgerufen, mit eigener Verfassung, eigener Flagge, einer Nationalhymne, eigenem Stempel, einem Präsidenten und einem eigenen Denkmal – dem Trompete spielenden Engel. „Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, unglücklich zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, beim Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen. Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und ein gedecktes Dach“, lauten einige Beispiele der Verfassung der Republik, dessen Botschafter unter anderem der Dalai Lama ist.
Auch die Inhaber des Restaurants Sweetroot gehen neue, ungewohnte Wege. Sie besinnen sich auf ihre Wurzeln, Traditionen des Landes und die oft unterschätzten Produkte. So stellen die Gerichte eine Mischung aus Erinnerungen der Kindheit, litauischer Kochkunst und dem Rhythmus der Natur dar. Serviert und gekocht wird mit viel Muße. Der Gast sollte Zeit mitbringen, denn das Auftragen der einzelnen, meist graphisch dekorierten Gänge wird ausgiebig zelebriert. Inhaber Sigitas Žemaitis erklärt mit Begeisterung, welcher Aufwand betrieben wird, um die Zutaten zu finden. An freien Tagen beispielsweise geht er mit dem Koch in den Wald um Pilze und Beeren zu sammeln, oder er erntet für den Gang „Der Geschmack von Litauen“ im eigenen Gewächshaus verschiedene Sorten Tomaten. Im Menü folgt ein Gelee aus reduziertem Bratensaft vom Schwein mit Thymianblättchen und einem kleinen Beet mit Miniaturapfelstückchen. Vom Garten führt die Reise in den Wald: Pfifferlingssüppchen! Anschließend kombiniert Chefkoch Justinas Misius Schnecken mit Pasta und Ysop. Als Hauptgang reicht er gesalzenen Aal mit geräucherten Kartoffelstiften und zum Dessert serviert er eine edelsüße Komposition aus Haselnuss, Ziegenmilch, Macarons mit Pollen und Stachelbeeren.
„Zurück zu den Wurzeln – mit Muße. Die Welt ist so hektisch geworden. Wir möchten mit unserer Art des Kochens und Servierens zur Entschleunigung beitragen“, erklärt Sigitas Žemaitis die Philosophie des Hauses. Zusammen mit der harmonischen Weinbegleitung entpuppt sich Sweet Root als ein feines, elegantes und außergewöhnliches Restaurant. Vilnius liegt malerisch in einem aus sieben Hügeln geformten Tal der Flüsse Neris und Vilnia. Die Altstadt gehört zum Weltkulturerbe der Unesco und beeinflusste die kulturelle und architektonische Entwicklung zahlreicher europäischer Regionen. Trotz Invasionen und Zerstörungen, mit denen die Stadt immer wieder ringen musste, sind viele historische Gebäude von der Renaissance bis zur Klassik erhalten geblieben. Dominierend ist dabei der Barockstil. Die Silhouette einer der flächenmäßig größten Altstädte Europas ist durch zahlreiche Kirchtürme geprägt. Die prachtvolle Altstadt, die auch liebevoll Perle des Barock genannt wird, ist schon allein eine Reise wert. Bei einem Rundgang scheint die Restaurantszene so vielfältig wie die Architektur der Stadt. Ob litauische Küche oder die reichhaltige Auswahl internationaler Kochstile: für jeden Geschmack und jeden Bedarf gibt es das passende Angebot.
Mitten im Zentrum befindet sich das Stikliai-Hotel, ein lohnenswertes kleines, charmantes Haus mit barocken und gotischen Elementen. „Stikliai“ bedeutet Glasbläser, denn das Hotel befindet sich in einem Viertel, in dem sich zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert die Glasbläser-Werkstätten befanden. Raffinierte Gerichte des Küchenchefs vom Relais & Châteaux ermöglichen in dem renommierten Feinschmecker-Restaurant, das über die Grenzen des Baltikums als Botschafter des guten Geschmacks gilt, einmalige kulinarische Erlebnisse. Der Charme des Hauses spiegelt sich in dem gelungenen Menü. Zum Auftakt mundet der Spargel in drei Variationen mit Pastinaken-Creme, dann Ravioli gefüllt mit Gänseleber im Kürbissüppchen, abgerundet mit Honig-und Limonencreme, Kaffee-Öl und Kürbiskernen. Zart und wohlschmeckend ist der Wolfsbarsch mit Zitronen-Estragonsauce, geschmorten Erbsen und blauen Kartoffelchips gelungen. Äußerst schmackhaft ist das Lamm in zartem Blätterteigmantel, Kokosnusskarotten an süßer Zwiebelcreme. Das Dessert belohnt mit dem angenehmen Frischegeschmack der Fruchtsuppe mit Passionsfrucht, Mango, Tapioca und Kokosnuss.
Bistro 18 – hinter dem Namen steckt die langjährige Beziehung einer Irin und einem Litauer. Ein Restaurant mit moderner, leichter und kreativer Küche. Der Service ist freundlich und aufmerksam. Reservierung ist unbedingt angebracht. Nicht nur Touristen sondern auch Einheimische, darunter viele Stammkunden, besuchen dieses Restaurant. „Wir kochen hier, was wir selbst gerne essen“, erklärt Anne Jennings Taučienė, die das Restaurant zusammen mit ihrem Mann und Koch Saulius betreibt. In dem Gebäude aus der Barockzeit wird im europäisch, klassischen Stil mit modern interpretierten Einflüssen aus Litauen gekocht. Die Kostproben zu denen Königskrabben mit Salat, warmer Ziegenfrischkäse unter einer Nusshaube oder Kabeljau an Weißkohl mit Olivenöl und frischem, knackigem Gemüse gehören, überzeugen durch ihre hochwertige Qualität und hervorragende Geschmackskombinationen.
„Ich freue mich heute schon wieder auf unseren nächstjährigen Aufenthalt in Nidden. Der eigenartige Charakter dieses Landstriches hat nichts Einschmeichelndes, er ist nicht schön im konzilianten Sinne, aber er kann einem ans Herz wachsen, davon kann ich ein Lied singen und habe es heute versucht“, lauten die treffenden Worte von Thomas Mann in seinem Werk „Mein Sommerhaus“. Einige Monate, bevor der Schriftsteller 1929 den Literaturnobelpreis erhielt, kam er von Ostpreußen mit dem Dampfer nach Nidden. Er gehört zu den größten Berühmtheiten, die die Kurische Nehrung für sich entdeckten. Die berühmte Sommerfrische gehörte schon damals zu Litauen und war ihm empfohlen worden. Beeindruckt von den riesigen Dünen zwischen Kurischem Haff und Meer beschloss die Familie, sich hier ein Sommerhaus zu bauen, wo sie von 1930 bis 1932 die letzten unbeschwerten Sommer verbrachte. Heute ist es ein kleines Museum mit vielen Zeitdokumenten und Beispielen der damaligen Lebensart.
Verträumt wirken die romantischen Dörfer mit ihren alten bunten Fischerhäusern aus Holz, verzierten Giebelkanten, die in gekreuzte Pferdeköpfe münden. Hinter Staketenzäunen wachsen Obstbäume, aus kleinen Räucherhäuschen dazwischen winden sich Rauchsäulen. Lichte Kiefernwälder, das ruhige Kurische Haff auf der einen und die rauschende Ostsee auf der anderen Seite üben eine beruhigende Wirkung aus. Die knapp 100 Kilometer lange und nur etwa 300 Meter bis 4,5 Kilometer breite Halbinsel mit einer der höchsten Dünen Europas gehört ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe. Im Sommer geht es in dem Landstrich turbulent zu, im Winter eher beschaulich. Zu einer lohnenswerten Adresse in Nida gehört das junge Restaurant Tarp Kitko. Betrieben wird es von dem Litauer Jonas Lisauskas. Gekocht wird von dem Italiener Gian Luca Deamarco. Verschiedene Temperamente treffen aufeinander, oder Italien trifft Litauen könnte es hier auch heißen. Wichtigste Vorgabe sind frische und erstklassige Zutaten aus Litauen oder Italien. Gekocht wird auf jeden Fall mit Leidenschaft.
In der Hafenstadt Klaipeda erfahren die Gäste ausgezeichnete Kochkunst im „Stora Antis“(Dicke Ente), einem kleinen Restaurant mitten in der Altstadt. Mit seinen vielen Antiquitäten erinnert es ein wenig an ein Museum. In dem Gewölbe aus dem 19. Jahrhundert zaubern Gastgeber Vitalijus Voitenko mit seiner Herzlichkeit und seine Frau, die bescheiden auftretende Köchin Natali Voitenko Eindrucksvolles, das unter anderem schon Mireille Mathieu, Komponist und Sänger Toto Cutugno, die Gruppe „Smokie“, oder Eric Marienthal von der Chick Corea Elektric Band begeisterte. Durch leise Musik vom Grammophon, Kerzenlicht, köstliche Weine, Tee aus Kupferteekannen, äußerst schmackhaft und liebevoll zubereitete Speisen und einen ausgezeichneten Service werden die Gäste verwöhnt – eine perfekte Einstimmung auf eine Reise durch das Baltikum oder ein wunderbares Finale nach erlebnisreichen Impressionen eines außergewöhnlichen Landes.
DFDS Seaways, Rundreisen im Baltikum:
Auf der komfortablen Fährüberfahrt von Kiel nach Klaipeda können sich die Gäste auf den Urlaub einstimmen, während der PKW oder das Motorrad unter Deck mitreist. An Bord ermöglichen die Kabinen, Restaurants und Bars einen angenehmen Aufenthalt.
Reiseführer: Baltikum – Litauen, Lettland, Estland aus dem Reise Know How Verlag