Baltikum: Estland
Wo Elche, Wölfe und Bären leben
Die Route führt über eine asphaltierte Straße ohne Mittelstreifen, immer weiter durch die ausgedehnten Wälder Estlands bei Rakvere. Kurz hinter dem Ortsausgang von Alma geht es weiter auf einem kurvigen Feldweg. „Wir müssen jetzt aufpassen. In meiner Wegbeschreibung heißt es jetzt: An der Kiefer links“, erklärt Reiseleiterin Monika Reedik. Tatsächlich, dort wo nur noch Wildnis vermutet wird, öffnet sich eine Lichtung mit einem schmucken Holzhausensemble, umgeben von Obstbäumen und gepflegten Beeten. Die Kuusiku Nature Farm wird bewirtschaftet von Sirje und Rein Kuusik sowie den Kindern Kristjan und Kristina. Die ehemalige Produktmanagerin und der Informatikprofessor kehren mit der Farm zurück zu ihren Wurzeln. „Wir kochen hier möglichst mit unseren eigenen Produkten oder denen aus unserem Land, natürlich alles Bio. Früher befand ich mich in einer leitenden Position, aber mit der Belebung unserer alten Farm habe ich mir einen Traum erfüllt“, freut sich Sirje Kuusik, die mit Leidenschaft Gäste bewirtet oder mit ihnen zusammen kocht – gern nach Rezepten aus einem Kochbuch von 1906, das einst die Großtante verfasst hat. In dem gemütlichen Ambiente mit massiven Holzmöbeln und viel Kerzenlicht munden die Gerichte besonders gut. Fisch im Schinkenmantel, Dillkartoffeln aus dem Garten, mit Pfifferlingen gefüllte Tomaten, selbst gebackenes Sauerteigbrot und Kuchen mit Himbeeren aus dem umgebenden Wald eine vorzügliche Zusammenstellung eines köstlichen Essens.
Das Waldschutzgebiet Lahemaa gehört zu den Wichtigsten in Europa. Der Nationalpark bietet Lebensraum für Elche, Wildschweine, Bären, Lüchse und Füchse. In einem malerischen Tal zwischen den Flüssen Oandu und Altja können viele Biberspuren entdeckt werden. Zu der artenreichen Vogelwelt gehören Habichtskauz und Schwarzspecht. Im Herbst lassen sich auf den Feldern um Sagadi Kraniche nieder.
Kleinodien, wie die Biofarm, wechseln sich in Estland mit bezaubernden Landschaften und prachtvollen Herrenhäusern ab. Empfehlenswert ist ein Besuch in Lahemaa, dem ältesten und mit 72.500 Hektar Fläche größten Nationalpark des Landes. Dort befinden sich die Gutshöfe Palmse, Sagadi und Vihula, das Kapitänsdorf Käsmu, das Fischerdorf Altja und Strände, die ihren eigenartigen Charme durch die vielen eiszeitlichen Findlingen im Wasser erhalten. Auch die Kulturlandschaft mit uralten Wäldern und Sümpfen, in denen noch Elche, Bären und Wölfe leben, die romantischen Stranddörfer, Biobauernhöfe mit ihren zahlreichen Lehr- und Wanderwegen lohnt eine nähere Erkundung.
Ein Paradies verbirgt sich hinter dem Namen Oko Resto. Das kleine Restaurant mit Hotel befindet sich am Ende einer Landzunge, in dem etwas verschlafen wirkenden Dorf Kaberneeme. Auf den ersten Blick scheint es so, als sei kaum ein bewohntes Haus vorhanden. Auf Nachfragen weisen die Einheimischen die Richtung. „Immer geradeaus“, soll die Geste mit ausgetrecktem Arm wohl bedeuten. Ganz am Ende des Ortes liegt an dem kleinen Yachthafen tatsächlich das urgemütlich beleuchtete Haus. Hier zaubert ein junges Team Erstaunliches auf die Teller. Mit dabei sind Maränen, grüner Apfel, zarte weiße Blümchen, geräucherte Ente, oder Kekse, die wie Pfifferlinge aussehen. Zum Dessert sind es die Blaubeeren in Asche, dazu Johannisbeer- und Stachelbeersorbet, begleitet von einem delikaten Apfelsüßwein aus Estland, die begeistern. Kreativ, schmackhaft und sehr modern zubereitet, begeistern die Kunstwerke, wie auch der hervorragende Service – eine Symbiose, die keine Konkurrenz aus großen Städten fürchten muss. Dazu eine exzellente Weinbegleitung von Sommelier Feliks. Chefkoch Joonas Koppel zeigt keine Starallüren. „Kochen finde ich gut. Mein Vater ist ebenfalls ein Koch“, erklärt der junge Küchenchef. Empfehlenswert ist eine Übernachtung in den maritim gehaltenen Zimmern mit Traumblick über die Ostseebucht.
Die mittelalterliche Altstadt von Tallinn ist weltweit wegen ihrer authentischen hanseatischen Architektur bekannt und zählt zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen europäischen Städten. Alle maßgeblichen Gebäude aus dem Mittelalter sind in ihrer Originalform (oder ursprünglichen Form) erhalten geblieben, ebenso wie die vielen Wohnhäuser von Bürgern und Kaufleuten mit den dazugehörigen Speichern und Lagern aus der mittelalterlichen Periode. Die historischen Häuser, die teilweise noch aus dem 11. Jahrhundert stammen, säumen in unglaublicher Vielfalt die Kopfsteinpflasterstraßen. Seit 1997 steht die Altstadt auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Galerien, Museen, Cafés oder Restaurants neben den Souvenirgeschäften locken viele Touristen aus der ganzen Welt nach Tallin. Zu den Top-Restaurants dürfte das Hotel Telegraaf gehören. Gebaut wurde das Haus im Jahr 1878. Damals diente es als Sitz der estnischen Telegraphengesellschaft. Heute ist es ein imposantes Fünf-Sterne-Hotel. Im Restaurant Tchaikovsky können die Gäste die einzigartige Harmonie zwischen der russischen und französischen Küche erleben. „Ende des 18. Jahrhunderts haben die besten Chefköche Frankreichs die russische Küche entdeckt und in Europa bekannt gemacht. Das Zusammenspiel der russischen und französischen Küche hat die Welt um eine faszinierende und immerwährende Gourmet-Symbiose bereichert“, erklärt Anneli Ast vom Hotel Telegraaf. Während im Hintergrund die Ballettmusik von Tschaikowskis Schwanensee zu hören ist, servieren Küchenchef Vladislav Djatšuk und sein Team Gaumenfreuden. Frische, Farbigkeit und eine gewisse Leichtigkeit im Mittagsmenü, zu dem ein Spargel-Sellerie-Granité sowie Fisch und Ente gehören, überzeugen vollständig. Nettes Detail mit Augenzwinkern: die Servietten auf den Tischen sind alle in Form eines Schwans gefaltet, ein Schwan allerdings in Schwarz!
Außergewöhnliches bietet das neue Restaurant Art Priori. Nach mehrjähriger Umbauzeit ist das Gebäude aus der Gotik in ein Gourmetrestaurant aller ersten Güte verwandelt worden. Graue und schwarze Farben dominieren in dem eleganten Interieur. An den Wänden hängen wertvolle und perfekt beleuchtete Originale flämischer und deutscher Meister des 15. bis 17. Jahrhunderts wie von Peter Paul Rubens, Lucas Cranach, Albrecht Dürer oder Jan und Pieter Brueghel. Eine Interaktion zwischen der sehr lebendig wirkenden alten Kunst und raffinierter, moderner Kochkunst kann starten. Über dem offenen Feuer mit Holzgrill erhalten viele der kunstvollen Gerichte ihren letzten Schliff. Im Fokus der neuesten Nordic Food-Trends liegen frische Produkte der Saison und Kräuter, die vor Ort angebaut werden. Der wichtigste Aspekt ist die gesunde und harmonische Kombination aller Zutaten auf dem Teller. Zum Auftakt ein Kohle-Öl-Keks mit Pfifferlingsauce. Spargel, Buchweizen, Minze, Zitrone mit Weißwein lautet eine weitere Komposition. Es folgt Romanesco-Salat, Kartoffelkonsommee, Entenei und Tomate, Blaubeerjam und Fenchel, ein Dessert mit Rote Bete, schwarzer und weißer Schokolade sowie Anis. Zum Abschluss ein Bild aus Moos, Flechten, Gräsern, Heide und Kiefernwäldern. Fazit: Bei einer Reise nach Tallin sollte man sich mit einem Menügenuss im Art Priori belohnen.
Tartu wird von Kennern gerne als das geistige Zentrum Estlands bezeichnet. Der Grund ist einfach, denn die im Jahr 1632 gegründete Universität gehört zu den ältesten Nordeuropas. „Viele hervorragende Wissenschaftler und Gelehrte von internationalem Ruf studierten in Tartu. Die klassizistischen Lehrgebäude des historischen Zentrums verkörpern seit jeher den akademischen Geist der Stadt und gelten zu Recht als überregionale Wahrzeichen einer erfolgreichen Lehr- und Forschungsgeschichte“, berichtet Tiina Auling, die in Tartu aufwuchs und zu den Absolventen der Uni gehört. Die zweitgrößte Stadt Estlands gilt auch als Wiege der estnischen Sängerfeste, des estnischen Theaters und des estnischen Staates. Zahlreiche Kulturveranstaltungen finden das ganze Jahr über statt. Tartu ist dazu ein angesagter Ort der kreativen und wissenschaftlichen Kultur. Mehr als 20 Museen, zahlreiche Restaurants und Cafés sowie das Tartuer Kreativzentrum mit seiner Start up Szene beleben das Zentrum der gepflegten, quirligen und liebenswerten Stadt mit der Brunnenskulptur „Küssende Studenten“ als ein Hauptsymbol.
DFDS Seaways, Rundreisen im Baltikum. Auf der Fährüberfahrt von Kiel nach Klaipeda können sich die Gäste auf den Urlaub einstimmen, während der PKW oder das Motorrad unter Deck mitreist. An Bord ermöglichen die Kabinen, Restaurants und Bars einen angenehmen Aufenthalt.
Reiseführer: Baltikum – Litauen, Lettland, Estland aus dem Reise Know How Verlag