Der Keller gehört heute Euch
GastroNord: Dirty heißt der neueste Trend
Für Chefkoch Alexander Sjögren war die GastroNord das perfekte Forum. Der talentierte Küchenmeister aus Schweden tritt in diesem Jahr beim Bocuse D`Or in Budapest an. Er lies sich bei seinem Training für den Wettbewerb während der internationalen Fachmesse für Verpflegung, Restaurants und Hotels im Verbund mit der Weinausstellung VINORDIC in Stockholm über die Schulter sehen. Mit rund 20.000 Fachbesuchern des gewerblichen Vertriebs sowie dem Hotel- und Gaststättengewerbe erlebte Alexander Sjögren fast schon authentische Wettbewerbsbedingungen. In fünf Stunden und 35 Minuten muss er unter Zeitdruck ein Fisch- und ein Fleischgericht zubereiten. Das Rezept sollte nicht nur die Kreativität und Persönlichkeit des Kochs widerspiegeln, sondern auch die Traditionen des eigenen Landes. In diesem Jahr stehen unter anderem Stör und Stör-Kaviar sowie Wild auf dem Speiseplan. „Anfangs benötigten wir noch 8,5 Stunden. Wir nähern uns zunehmend der vorgegeben Zeit. Auf jeden Fall möchten wir wieder auf den vorderen Plätzen landen. Die Konkurrenz aus Norwegen, Dänemark sowie Estland ist allerdings sehr stark. Das Niveau steigt jedes Jahr. Aus Deutschland wird Marvin Böhm vom Restaurant Aqua in Wolfsburg antreten“, sagt der Coach und ehemalige Bocuse D`Or Preistäger Jonas Lundgren. Der Druck ist groß, schließlich erreichte der schwedische Küchenchef Tommy Myllymäki im Jahr 2014 den ersten Platz auf europäischer Ebene und den dritten bei der Weltmeisterschaft 2015 in Lyon.
Auf 11.000 Quadratmetern präsentierten bei der GastroNord fast 400 Aussteller Neuheiten und bewährte Produkte der Gastronomie und der Hotellerie. Zu den innovativen Ausstellern gehörte die kleine Agentur „FOOD & FRIENDS“. Sie betreibt Trendspotting, das heißt die Mitarbeiter forschen in vielen Ländern nach den allgemein stärksten Trends. „Seit 2003 überprüfen wir jedes Jahr was im Essen, Trinken, im Bereich Horeca los ist. Wir recherchieren in Blogs, Zeitungen, Zeitschriften, sehen uns Messeprofile an und reisen in gastronomisch führende Städte, wie London, Paris, Barcelona, New York und Chicago. Was die Trends betrifft befinden sich die USA ganz weit vorn. Schon bald folgt Schweden. Auch wenn in Schweden Vieles noch nicht angekommen ist und Küche und Kochkunst vor 50 Jahren eher unbedeutend war, zeigen sich heute die Skandinavier sehr offen für Neues. Fast täglich öffnen neue Restaurants“, erläutert Lennart Wallander, Kopf von Food & Friends. Die Ergebnisse für das Jahr 2016 liegen vor. Wallander hat dem neusten Trend den Namen „Dirty“ gegeben. Mit Dirty meint er eine besondere Form der Präsentation von Lebensmitteln, ihren Verpackungen und dem Ambiente von Restaurants. Zu den zunehmend als „Dirty“ bezeichneten Lebensmitteln gehören zum Beispiel Pommes, die mit Saucen vermengt werden, die Anreicherung von Burgern. Locker zusammengewürfelte Speisen, die das Gefühl des Selbstgemachten assoziieren. Das Ambiente vermittelt zunehmend eine private Atmosphäre, obwohl das Restaurant – erst auf den zweiten Blick erkennbar – einer großen Kette angehört. Speisekarten oder Restaurantschilder sehen wie selbstgemalt aus, wirken sehr persönlich und künstlerisch – wie wertvolle Handarbeit. „Wir forschen weiter.
2017 gibt es neue Ergebnisse. Das ist aber noch ein Topsecret“, fügt der Gastroforscher an. Es sei nur so viel verraten, dass es um eine neue Identifizierung der Köche und des Kochstils geht: „Hier bleibt die Suche nach der Einzigartigkeit. Der Trend auf der Speisekarte wird sich vermutlich von den großen Mischgerichten wegbewegen“.
Mit Dirty könnten auch die neuen Restaurants in Stockholm in einem Foodcourt „Teatern“ bezeichnet werden. Wie in einem Theater sitzen die Gäste auf verschiedenen Rängen. Sie können sich Gerichte aus fast zehn kleinen offenen Küchen bestellen. Die Inhaber der kleinen Restaurants sind fast alles preisgekrönte Köche, die ausgezeichnete Zutaten verwenden. In Teatern wird die Lässigkeit von Fastfood beispielsweise durch die Verwendung von Papptellern und Plastikgabeln assoziieren. Im K-Märkt, einem weiteren Hotspot in Stockholm, bieten Hanna Normark, Jens Dolk and Daniel Roos – alles ehemalige Mitarbeiter in der Sternegastronomie, ebenfalls ein ganz neues Konzept an. Eine Speisekarte gibt es nicht. Gekocht wird aus erstklassigen „Abfällen“, das heißt aus Überproduktionen eines Farmers, Restbeständen der Fischfänge oder die Lebensmittel großer Fährlinien, die nicht verarbeitet werden konnten. Selbstverständlich handelt es sich nur um frische Zutaten, die im K-Märkt verarbeitet werden. „Wir wissen nie, was wir am nächsten Tag anbieten. Man kann nur sicher sein, dass die Gerichte sehr gut sind und viel preiswerter als in den klassischen Restaurants. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Dagegen wehren wir uns. Das Umdenken fiel uns nicht schwer. Wir werfen fast keine Lebensmittel mehr weg. Außerdem wird bei uns das Essen nach Gewicht bezahlt“, freut sich Jens Dolk über das erfolgreiche Konzept, das in einem Gebäude von 1972, das unter Denkmalschutz steht, umgesetzt wird. Täglich 1200 Essen, inklusive Catering und Foodboxes sind der beste Beweis für die Idee.
Ebenfalls ein Trendsetter ist das Restaurant Lilla Ego. Daniel Räms, Tom Sjöstedt und Jimmi Eriksson tragen alle den Chef of the Year Award. Wer in ihrem Restaurant speisen möchte, sollte sechs Wochen im Vorfeld reservieren. Auch hier stehen Lässigkeit und eine familiäre Atmosphäre im Vordergrund. Bei einem Dinner im Untergeschoss kündigt Daniel Räms an: „Heute Abend gehört dieser Keller Euch. Hier könnt Ihr Euch benehmen, wie Ihr wollt. Ihr könnt auch Eure eigene Musik anstellen“. Das Tablet dazu hängt an einem Kaninchengitter, das gleichzeitig die Abtrennung zum Weinkeller darstellt. Das Menü ist auf großen DIN A O Postern die mit Kreppband an die Wand gepinnt wurden und mit schwungvoller Handschrift notiert. Serviert wird, bis auf die Vorspeise und das Dessert (Himmelstorte) als Tellergericht, ein sehr schmackhaftes Büffet mit Fleisch, Gemüse, Salat und Saucen – fast wie Zuhause!