Den Geruch des Waldes einfangen
Goldener Umweg lockt mit Elch-Eis
Ein kleiner blauer Elefant, ein Engel mit Brille und eine Frau mit vier Armen: kleine Details auf den Abbildungen in Norwegens imposanter, viertgrößter Kirche in Røros geben Rätsel auf. Auf den ersten Blick trumpft das nordische Land mit seiner grandiosen Natur und entzückenden Holzhäusern auf. Beim genaueren Hinsehen aber können in dem Gebiet Trondelag und hinter den urigen Fassaden zahlreiche kleinere Wunderwerke entdeckt werden, die zum Staunen veranlassen oder auch Begeisterungsstürme hervorrufen. Røros ist beispielsweise die einzige Stadt Norwegens, die vollständig unter Denkmalschutz und auf der UNESCO-Liste Weltkulturerbe der Menschheit, gleichberechtigt mit der Akropolis und den Pyramiden von Gizeh, steht. In dem hübschen Ort leben 3500 Einwohner, hinzu kommen saisonal eine Million Gäste, die sich auf den Straßen tummeln, das historische Flair genießen und sich dabei während ihres Aufenthaltes in ein anders Jahrhundert versetzt fühlen. Zwischen den Direktorenchalets und den Holzkaten der Arbeiter des ehemaligen Bergbaustädtchens aus dem 17. Jahrhundert, das schon mehrfach als perfekte Kulisse in einigen Filmen von Pippi Langstrumpf diente, befinden sich auch das Vertshuset, ein Hotel aus dem Verbund der historischen Hotels Norwegens. Zu einem der bekannten Bewohner des Hauses gehörte der Bergwerksdirektor von 1772, Peder Hiort. Wegen des enormen Kupfervorkommens kam seine Familie im 18. Jahrhundert nach Røros. Heute wird das Hotel mit der Røros Bryggeri (Brauerei) verbunden, die sich im Keller befindet.
Die Rohstoffe lagen quasi vor der Haustür, denn begonnen hat die Produktion einst mit der Mineralwasserfabrik um 1900, in die ständig weiter investiert wurde. Dazu kam die Anschaffung der Kupferkessel für die traditionelle Herstellung des Bieres im Rammkeller. Bierliebhaber freuen sich nicht nur über die sechs verschiedenen Sorten die Brauer Joakim Stid herstellt, sondern auch über die mehr als 150 Biersorten aus aller Welt in der Bar im Erdgeschoss. „Anfangs haben wir in unserer Mikrobrauerei etwa 20.000 Liter produziert. Inzwischen sind es mehr als eine Million“, erklärt der 26-Jährige Fachmann.
Das Hotel hat weitaus mehr als Bier zu bieten, denn die Küche ist für ihre regionalen Waren aus dem Wald, den Bergen und dem Meer über die Grenzen hinaus bekannt. Ein Dinner in dem Traditionshaus, in dem schon der König von Norwegen sich die Ehre gab zu Gast war, überzeugt durch jedes Detail. Vorweg gibt es Felchenmus zwischen hauchdünnem Roggenbrot mit Bärlauchöl und frischen Kräutern. Als Hauptgang wird ein äußerst zartes Rentierfilet mit Preiselbeeren, Süßkartoffelcreme und Morchelsauce serviert. Als Dessert rundet hausgemachtes Eis mit knusprigem Maischefladen das genussvolle Menü ab. Røros liegt in der Region Trondelag, Norwegens bedeutendster Region für regionale Erzeugnisse. Eine karge Landschaft und niedrige Temperaturen im Sommer sowie die kalten Winter bewirken, dass die Nahrungsmittel dort sehr langsam wachsen. Allerdings sind die hellen Sommernächte sehr lang und der Boden ist schadstoffarm rein sowie mineralstoffreich. Dazu liefern die Bergseen und Flüsse sauberes Wasser. „Das alles dürfte der Grund sein, dass das Gemüse, Obst, Wild, Vieh und die Fische durch ganz besonders tiefgründige Aromen überzeugen. In den geschmacksintensiven Pilzen, Beeren, Kräutern und im Gemüse sind die reinen ursprünglichen Aromen zu finden. Deshalb könnte es auch das „Terroir“ Trondelag heißen. Feinschmecker genießen gerade am Wochenende die lokalen Küchen-Safaris. Hierbei handelt es sich um kulinarische Rundreisen zu lokalen Nahrungsmittelproduzenten und besonderen Restaurants. So bietet Tove Iren in ihrer Bäckerei „Kalsa Gårdbakeri“, einem urigen Holzhaus aus dem 18. Jahrhundert, verschiedene Süßigkeiten an. Während die Gäste an den blank gescheuerten Holztischen sitzen, die mit zahlreichen Kerzen und Wildblumensträußen dekoriert sind, erzählen Tove Irens Mutter Sofia und Schwiegermutter Inge von der Geschichte des Hauses oder verraten die Rezepte der einzelnen Gerichte.
Nur wenige Minuten später wartet vor ihrer Haustür vom Skottgården Hof Jorid Skott Svendsen. Sie empfängt ihre Gäste in der bunten Tracht ihrer Urgroßmutter. Kleine Lachfalten bilden sich um die blitzenden Augen, wenn sie von ihren Aktionen berichtet. Mehrtägige Pferdeschlittenfahrten im Winter oder Familienfeiern im historischen Ambiente. Für die Besucher ihrer stattlichen Farm von 1651 kocht sie auf Wunsch mehrgängige Menues – selbstverständlich nach alten Rezepten der Region, die die Landfrauen gesammelt und als Buch herausgegeben haben. Im schmucken Wohnzimmer mit niedrigen Decken erfährt der Gast eine stimmungsvolle Zeitreise. Auf den Holzböden liegen Flickenteppiche, hübsche antike Schränke zieren die Wände und die Tafel ist festlich mit bunt gemischtem Steingutgeschirr gedeckt. Als Vorspeise serviert Jorid Skott Svendsen Forelle, Felchen und Lachs sowie geräuchertes Rentierherz, Rentierzunge und Lammsülze. Als Hauptgang reicht sie äußerst schmackhafte Würstchen aus Rentier und Rind mit Graupen, gewürzt mit Nelken, Ingwer, Piment, Pfeffer und Salz. Zur Erfrischung gibt es selbstgebrautes, alkoholfreies Bier. „Wir legen großen Wert auf Tradition. Dazu gehört für mich das Essen, die Rezepte und die Kleidung. Meine Urgroßmutter war eine schwer arbeitende und sehr liebevolle Frau. Deshalb empfinde ich es als eine besondere Ehre ihre Tracht zu tragen. Den Gästen möchte ich etwas von unserer Kulturgeschichte vermitteln“, erklärt Jorid Skott Svendsen lächelnd. Und das gelingt ihr auch. Ungern möchte die Gruppe das besondere Ambiente verlassen, das ein tiefes Gefühl von Geborgenheit vermittelt.
Zu einem weiteren Ziel in einer der kulinarisch wichtigsten Regionen Norwegens gehört die Molkerei Ørens Meieri von Asbjørg Jakobsen. Ambitioniert und beeinflusst von der Küche Bayerns möchte sie nur regionale Schmackhaftigkeiten servieren. „Unsere Waren sind gesund, sauber und wachsen direkt vor der Haustür. Andere Länder sind stolz auf ihre Speisen. Das wollen und können wir auch sein. Unser Koch Vegard Fölstad bleibt fast zu 100 Prozent lokal und verwendet nur Bioprodukte“, sagt Asbjørg Jakobsen. „Wir bauen Gemüse sowie Obst an und züchten Schweine. Das ist harte Arbeit, aber wir sind von unseren Produkten überzeugt“, bestätigt Landwirtin und Meeresbiologin Anne Grete Rostad, die zu den Lieferanten des Hauses gehört. Schon die delikate Vorspeise mit Elchorizo, Lachstatar, Schnittlauch aus dem eigenen Garten und Käse aus Røros verrät die hohe Qualität des Restaurants.
Goldener Umweg lautet der blumige Name für eine leckere Strecke, die zu den schönsten Kulturlandschaften Norwegens zählt. Schon seit Jahrhunderten inspirierte das flirrende Licht im Zusammenspiel mit dem Wasser die Maler. Seit einiger Zeit locken neben Kunst und Kunsthandwerk auch kulinarische Juwelen, sich auf diesen Umweg zu begeben. Die Käserei Gangstad Gårdsysteri stellt preisgekrönten Käse und Eiskrem aus der frischen Kuhmilch des Hofs her. Inhaberin Astrid Aasen hat eine Marktlücke entdeckt und sucht aber auch immer wieder neue Herausforderungen. „Wir möchten immer die ersten sein. Demnächst werden wir Kombucha produzieren“, verrät die Norwegerin, die seit sieben Jahren Eis herstellt, das im ganzen Land genossen wird. Grandios ist ihr Elcheis. Dafür kreierte sie ein Rezept, das unter anderem aus Preiselbeeren und in Milch gekochten Fichtennadelspitzen besteht. „Ich wollte damit den Geruch des Waldes, der Heimat der Elche, einfangen.“
Svein Berfjord Berg-Hof gilt als erster Landwirt in Trondelag, der im Keller seine eigene Schlachterei führt. Außerdem betreibt er zusammen mit seiner Frau Kristi Farbu ein Restaurant. Neuestes Produkt ist Aquavit. „Wir hatten Kümmelfelder. Also bot sich die Herstellung von Aquavit geradezu an. Dazu haben wir uns gerade alte Sherry-Fässer aus Spanien kommen lassen“, schmunzelt der Vollblutfarmer. Als Zentrum der Gaumenfreuden gilt Trondheim. War die drittgrößte Stadt Norwegens schon im Mittelalter eine der wichtigsten Pilgerstätten Nordeuropas, erfreuen sich heute die alten Routen wie die St.-Olavs-Wege wieder wachsender Beliebtheit. Im Verhältnis zur Größe der Stadt ist die vielfältige Anzahl an Restaurants, Pubs und Bars außergewöhnlich. Für jeden Geschmack gibt es passende Adressen. Zu einer der neuesten gehört die Markthalle von Jo Esten Hafsmo. „Wir bieten hier die Waren von rund 100 regionalen Produzenten an. Insgesamt gibt es etwa 400 Erzeuger in Trondelag. Man nennt die Region auch `Kortreist mat, die des kurzgereisten Essens`“, erklärt der Geschäftsführer. Biersommelier Tommy Holen Helland ergänzt: „Trondelag gilt als Bierhauptstadt Norwegens. In der letzten Zeit haben 13 Brauereine neu eröffnet. Allein in unserer Bar führen wir zwischen 250 und 400 Sorten Bier, 40 verschiedene Whiskeys und 90 Arten Aquavit.“
Von der gemütlichen Waffelbäckerei in der alten Poststation Baklandet Skydsstation im 50er Jahre Look, über das trendige Restaurant „Søstrene Karlsen“ bis zur Astrum Grill & Raw Bar mit herrlichem Panoramablick über den Trondheim-Fjord kommt jeder Feinschmecker voll auf seine Kosten. Wenn nach einem fantastischen Abendessen ein älterer Radfahrer mit einem jubelnden „Joh-joh-joh“ vorüberfährt, verleitet es zum Lächeln: Meint er die Stadt mit ihren Gourmetfreuden oder beglückt ihn das herrliche Sommerwetter? In Trondelag, der Region Norwegens, wo es noch echte Gastfreundschaft, köstliches Essen und eine gemütliche Atmosphäre gibt, lohnt sich gerade in den vielen kleinen Restaurants ein Besuch. Dazu zählt das Kalas og Canasta. Selbst ein schlichtes Mittagsmenü kann dort begeistern. Nach dem selbst gebackenen Foccaciabrot mit frischen Tomaten und Ziegenfrischkäsecreme, garniert mit Dillblüten, folgt ein perfekt gegartes Rib eye Steak, selbstverständlich aus der Region und mit Tarragonbutter. Als Dessert reicht Chefköchin Renee Fagerhøi Brownies aus Valrhonaschokolade, Beerensorbet und frischen Erdbeeren, selbstverständlich regional. Das I-Tüpfelchen dazu: ein Ostricher Lenchen, Riesling Auslese 2011.
Auf den ersten Blick unscheinbare Details lohnen eine intensivere Erkundung. Das soll wohl der Engel mit Brille andeuten. Das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert zeigt auch Elisabeth Anisseux, Mutter von mehr als einem Dutzend Kindern. Ihre vier Arme könnten ihren Fleiß symbolisieren. Und der kleine blaue Dickhäuter auf der Fahne von 1778 ist das Zeichen für den Elefantenorden, ein dänischer Ritterorden und die höchste Auszeichnung des Landes.